Strafrecht – Überblick StGB Besonderer Teil I
Im Strafrecht dürfen die Normen nicht analog angewendet werden.
Fall 1
M im 6. Monat schwanger. T gibt ihr ein Mittel, dass den Ausstoß ders fruchtes hervorruft. Das Kind wird ausgestoßen und nach wenigen Minuten stirbt.
§ 218, § 212 Schwangerschaftsabbruch, Tötung.
Fahrl. Tötung § 222
BGHSt 32, 134; 10, 5
O war ein Mensch, weil er die Eröffnungswehen überstanden hat.
Zum Zeitpunkt des Einsetzens war O kein Mensch, sondern ein Leibesfrucht, deswegen keine Tötung.
Beginn des Lebenschutzes
Vor Beginn der Eröffnungswehen: „Leibesfrucht“ >>nur § 218 (bei vorsätzlichem Schwangerschaftsabbruch)
Nach Beginn der Eröffnungswehen: „Mensch“ >> §§ 211, 212 (vosätzliche Tötung) § 222 (fahrlässige Tötung)
Entscheidend ist der Zeitpunkt des einwirkens auf das Tatobjekt.
Ergebnis: Das Einwirken fand zum Zeitpunkt statt, wo der O noch ein Leibesfrucht gewesen war. T wird nicht nach § 212 bestraft.
Obwohl der BGH oft gesagt hat, dass das werdende, keimende Leben genauso schutzwürdig wie ein anderes ist.
Delikte gegen das Leben
I. „Mensch“
1. Vorsatz: §§ 211-213, 216
2. Fahrlässigkeit: § 222
II. „Ungeborenes Leben“
Vorsatz: § 218
III. Sondertatbestände
(nicht notwendig gegen das Leben gerichtet)
§ 220a
§ 221
Beginn des Lebensschutzes
vor Beginn der Eröffnungswehen:
„Leibesfrucht“ >> nur § 218 (bei vorsätzlichem Schwangerschaftsabbruch)
nach Beginn der Eröffnungswehen:
„Mensch“ >> §§ 211, 212 (bei vorsätzlicher Tötung), § 222 (bei fahrlässiger Tötung)
Entscheidend ist Zeitpunkt des „Einwirkens“ auf das Objekt der Tötung
Vorsätzliche Tötung
Schwerste Fälle: § 211
„Normalfälle“: § 212 I
Schwere Normalfälle: § 212 II
Leichte Normalfälle: § 213
§ 213 1. Alt.
Grund der Privilegierung: gemindertes Unrecht, geminderte Schuld durch Affekt.
Voraussetzungen:
Misshandlung oder Beleidigung (obj.) durch das Opfer >>> Zorn >>> Tötung
Ausnahme: eigene (auch fahrlässige) „Schuld“ des Täters an der Provokation
Mordmerkmale
täterbezogene:
niedrige Beweggründe, insbesondere Mordlust, Geschlechtstrieb, Habgier, Straftatermöglichung, Straftatverdeckung
tatbezogene:
Heimtücke, Grausamkeit, gemeingefährl. Mittel
Verdeckungsabsicht
richtet sich auf Vereitelung des Entdeckens.
Möglich auch
– bei dol.ev. bzgl. der Tötung (wenn Tod des O nicht zur Verdeckung notwendig);
– bei Tötung durch Unterlassen;
– bei bloßer Erschwerung der Entdeckung;
– bei spontanem Entschluß unmittelbar nach der Vortat;
– bei bloß irriger Annahme einer strafbaren Vortat.
Heimtücke
Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit
Problembereiche:
„Kreatürliche“ Arglosigkeit (Schlaf, Ohnmacht, Kinder) , Hinterhalt , vorangegangene Auseinandersetzung
Einschränkungsversuche:
„feindliche Willensrichtung“
subj. Element des „Ausnutzens“
„Rechtsfolgenlösung“ (BGHSt. 30, 105)
Einschränkung von § 211
Lit.: „Verwerflichkeit“ als allg. einschränkendes Merkmal, analoge Anwendung von ‚ 213
BVerfG: restriktive Auslegung der Mordmerkmale, insb. Heimtücke, Verdeckungsabsicht
BGHSt. 30, 105: bei „außergewöhnlichen Umständen“ analoge Anwendung von ‚ 49 Abs. 1 (Rechtsfolgenlösung)
Systematik der Tötungsdelikte I
§§ 212, 211 StGB (BGH)
1. T tötet O grausam, G weiß das und hilft
T: § 211
G: §§ 211, 27
2. T tötet O grausam, G weiß nichts von der Grausamkeit
T: § 211
G: §§ 212, 27 (inkonsequent !)
3. T tötet O aus Habgier, G weiß das, ist aber nicht habgierig
T: § 211
G: §§ 211, 27, 28 I
4. T tötet O aus Habgier, G weiß das nicht
T: § 211
G: §§ 212, 27 (?)
5. T tötet aus Mitleid, G hilft ihm aus Habgier
T: § 212
G: §§ 212, 27
6. T tötet in Verdeckungsabsicht, G hilft ihm aus Habgier
T: § 211
G: §§ 211, 27 (eigentlich: 28 I)
Systematik der Tötungsdelikte II
§§ 212, 211 StGB (Lit.)
1. T tötet O grausam, G weiß das und hilft
T: § 211
G: §§ 211, 27
2. T tötet O grausam, G weiß nichts von der Grausamkeit
T: § 211
G: §§ 212, 27 (über § 16 I)
3. T tötet O aus Habgier, G weiß das, ist aber nicht habgierig
T: § 211
G: §§ 212, 27 (28 II)
4. T tötet O aus Habgier, G weiß das nicht
T: § 211
G: §§ 212, 27 (16 I)
5. T tötet aus Mitleid, G hilft ihm aus Habgier
T: § 212
G: §§ 211, 27 (28 II)
6. T tötet in Verdeckungsabsicht, G hilft ihm aus Habgier
T: § 211
G: §§ 211, 27 (zweimal 28 II)
§ 216 Tötung auf Verlangen
Sondertatbestand, hat Vorrang vor § 212 und § 211
Vorauss. der Privilegierung:
– Verlangen des Opfers (entspricht Anstiftung)
– ausdrücklich (auch durch Gesten)
– ernstlich (ohne Willensmängel)
Bei irrtümlicher Annahme eines Verlangens Strafbarkeit nach § 216 (wegen § 16 II).
Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe ist grds. verboten (‚ 212 oder ‚ 216).
„Indirekte“ Sterbehilfe ist nach h. M. gestattet (‚ 34).
Passive Sterbehilfe (Unterlassen weiterer Behandlung) ist bei (mutmaßlicher) Einwilligung des Patienten zulässig.
Problembereiche:
Feststellung des Willens des Patienten
Verteilung knapper Ressourcen
„Neugeborenen-Euthanasie“
Suizid
grds. straflos, auch Anstiftung und Beihilfe
Probleme:
Abgrenzung zwischen Tötung und Suizidbeihilfe (BGHSt. 19, 135)
Freiverantwortlichkeit des Suizidenten (an. ‚ 216)
Strafbarkeit von Garanten wegen Unterlassens der Rettung?
„Fahrlässige Beihilfe“ zum Suizid = ‚ 222? (nein, BGHSt. 24, 342)
Schwangerschaftsabbruch (§ 218)
Grundgedanke:
Die Schwangere trifft nach Beratung (§ 219) die Abwägung zwischen ihren Interessen und dem Lebensinteresse des Kindes.
Tatbestand § 218 I (gilt für die Schwangere und Dritte)
„Tatbestandsausschluss“ § 218a I
Rechtfertigung § 218a II (und per Fiktion § 218a III)
Mittäterschaft
1. Gemeinsamer Tatentschluss (auch konkludent; str., ob auch nach Vollendung noch möglich)
2. Mitwirkung an der Tat (strittig, ob notwendig am Tatort)
Mittelbare Täterschaft
Mittelb. Täter
Wissen Willen Organisation
Tatmittler
Ausführung der tb.mäßigen Handlung
Abgrenzung Täterschaft – Teilnahme
Rspr.: Wertende Gesamtbetrachtung, insb. subj. Einstellung zur Tat
H. L.: Tatherrschaft = bewußte Steuerung des Tatgeschehens
Aufbauregeln
1. Mit der tatnächsten Person beginnen
2. Immer Täterschaft vor Teilnahme prüfen
3. Mögliche Mittäter zunächst getrennt prüfen
Akzessorietät der Teilnahme
Keine strafb. Teilnahme an
– tatbestandslosem Verhalten
– rechtmäßigem Verhalten
– bloßer Vorbereitung (Ausn. § 30 I)
– fahrl. Tat (evtl. mittelb. Täterschaft !)
Teilnahme möglich an schuldloser Haupttat
Probleme der Anstiftung
„Geistiger Kontakt“ erforderlich oder reicht jeder Tatanreiz?
Konkretisierung der Tat nach Ort, Zeit, Tatbestand? (BGH: „umrisshafte Individualisierung“)
Objektsirrtum des Angestifteten = aberratio ictus für den Anstifter? (nein, BGHSt. 37, 214)
Probleme der Beihilfe
Hilfe leisten = kausaler erfolgsfördernder Beitrag zur Tat
Auch durch „neutrale“ Handlungen ?
Auch durch bloße Ermutigung des Haupttäters ?
Auch nach Vollendung der Haupttat ?
Bestimmtheit des Vorsatzes bzgl. der Haupttat
§ 223
1. Misshandlung: erhebliche Verletzung der körperbezogenen Autonomie durch Berührung oder Funktionsstörung
(Rspr.: „übles unangemessenes Behandeln“)
Gesundheitsschädigung: Hervorrufen eines krankhaften Zustandes
Einwilligung in Körperverletzung
1. § 228
H.M.: Sittenwidriger Zweck
MM: Schwere Verletzung
2. Ärztlicher Heileingriff
Rspr.: immer § 223, außer bei Einwilligung
H.L.: § 223 bei kunstgerechtem ärztlichem Eingriff zu Heilzwecken tatbestandlich nicht erfüllt
§ 225
Problem: Verhältnis zu § 223 (mit Folgen in Bezug auf Teilnahme – § 28 I oder II)
Beachte Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen!
Schwere Körperverletzung
Beachte Abstufung nach Vorsatzgrad (Abs. 2)
Nr. 2: auch Organe?
Nr. 3: Behebbarkeit der „Entstellung“?
Versuchsfälle:
– T will schwere Folge, dies misslingt;
– T versucht einfache KV, dadurch tritt schwere Folge ein (qualifizierter Versuch)
Körperverletzung mit Todesfolge
Problem: „Unmittelbarer“ Zusammenhang zwischen Verletzung(serfolg?) und Tod
Schlägerei (§ 231)
Strafgrund ist (schuldhafte) Beteiligung an sich.
Schwere Folge ist obj. Bedingung der Strafbarkeit.
Täter kann auch sein,
– wer vor Eintritt der schweren Folge aufhört oder
– wer nach Eintritt der schweren Folge anfängt (zw.).
Aussetzung
Allgemeines Lebens- und Gesundheitsgefährdungsdelikt
Struktur: Tathandlung Tun (Nr. 1) oder Unterlassen (Nr. 2) >> Gefährdungserfolg
Vorsatz muss sich auch auf die Gefährdung beziehen!
Hilflose Lage: abstr. Gefahr durch mangelnde Abwehrfähigkeit des Opfers
Versuch ist nur bei Abs. 2, 3 strafbar; streitig, ob bei Nr. 3 auch erfolgsqualif. Versuch
Nötigung
Gewalt: unmittelbare Zwangswirkung durch körperliches Verhalten
Vergeistigung des Gewaltbegriffs: minimaler Kraftaufwand >> psychisch vermittelte Zwangswirkung
aber: zu starke Vergeistigung verletzt Art. 103 II GG (BVerfGE 92, 1).
Drohung
– mit eigenem Verhalten
– soll ernstgenommen werden
– mit empfindlichem Übel (h.M.: objektiver Maßstab)
– auch mit Unterlassen (probl.)
§ 239 StGB
Schutz der Fortbewegungsfreiheit als Aspekt der Willensfreiheit
Probleme
– Fb. „auf andere Weise“ – psychische Barrieren?
– Fb. auch gegenüber Personen ohne aktuellen Fortbewegungswillen (z.B. Schlafende)? H.M.: auch „potentielle“ Fortbewegungsfreiheit ist geschützt
– Tatbestandsausschluss auch durch erschlichenes Einverständnis?
§ 239a StGB
obj.: Entführen oder Sichbemächtigen
subj.: um mit Gewalt oder empfindlichem Übel zu drohen
>> um vermögensschädigende Handlung oder Unterlassung des Entführten oder eines Dritten zu bewirken
in Bereicherungsabsicht
Beachte: §§ 239a, 239b im 2-Personen-Verhältnis setzen eine „stabile Machtposition“ des T bei der Nötigungshandlung voraus.
§ 239b StGB
obj.: Entführen oder Sichbemächtigen
subj.: um mit Gewalt oder einem empfindlichen Übel zu drohen
→ um Handlung oder Unterlassung des Entführten oder eines Dritten zu bewirken
Probleme bei § 123 StGB
1. Rechtsgut: Hausrecht oder soziale Funktion ?
2. Hausrecht bei mehreren Berechtigten (Mitbewohner, Vermieter und Mieter)
3. Wirkung von (insb. „konkludenten“) Hausverboten
4. Eindringen bei erschlichenem oder abgenötigtem Einverständnis?
Ehre
= Verdienter sozialer Geltungsanspruch
Beleidigung eines Kollektivs
– Personengemeinschaft
– sozial anerkannte Funktion
– einheitl. Willensbildung
Bsp.: Partei, GmbH, Bundeswehr
Beleidigung einzelner unter Kollektivbezeichnung
– Personengemeinschaft
– deutlich abgrenzbar
– überschaubar
Bsp.: Fakultätsrat, Bundestag, Bundeswehr (str.)
§ 189
Rechtsgut von § 189 StGB
Sozialer Friede?
Pietätsgefühl der Angehörigen?
Ehre des Verstorbenen?
Respekt vor der Lebensleistung des Verstorbenen
Indiskretionsdelikte – Rechtsgüter
§ 201 I: Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes
§ 201 II: Auswahl des Zuhörerkreises
§ 201a: „höchstpersönlicher Lebensbereich“
§ 202: Privatsphäre bzgl. Schriftstücke
§ 202a: Privatsphäre bzgl. Daten
§ 203 I: Vertrauen zu Berufsträgern
§ 203 II: Datenschutz bei öff. Verwaltung
Tatbestandshandlungen § 201 StGB
1. Aufnehmen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes (Abs. 1 Nr. 1)
2. Verwertung einer unbefugten Aufnahme (Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2)
3. Abhören mit Abhörgerät (Abs. 2 Nr. 1)
4. Verwertung des abgehörten Gesprächs (Abs. 2 Nr. 2)
Geheimnis (i.S.v. § 203)
– Tatsache
– wahr
– nicht allg. bekannt
– Geheimhaltungsinteresse
– subj. und obj. (str.)
„Unbefugt“
handelt man nicht bei
– Einwilligung des Betroffenen (str. bei Drittgeheimnissen; fraglich „konkludente“ Einwilligung)
– gesetzlicher Verpflichtung zur Offenbarung
– Notstand (§ 34)